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Mit einem Offenen Brief protestieren die Elternbeiräte von acht Kitas bei der Stadt Esslingen. Diese will Ganztagsplätze reduzieren, aber nicht streichen.

In Esslinger Kindertagesstätten kostet die Ganztagsbetreuung – acht Stunden an fünf Tagen pro Woche – maximal 954 Euro im Monat. Die Betreuung im Rahmen der sogenannten verlängerten Öffnungszeiten – sieben Stunden an fünf Tagen pro Woche – kostet maximal 270 Euro. Bei einer Familie mittleren Bruttoeinkommens (90 000 bis 100 000 Euro im Jahr) mit zwei Kindern reduzieren sich allerdings die Gebühren auf 414 beziehungsweise 203 Euro. Das ist dennoch ein gewaltiger Preissprung für täglich eine Stunde mehr. Ökonomen würden eine gezielte Nachfragesteuerung sehen, die Elternbeiräte von acht Esslinger Kitas mutmaßen Ähnliches. Sie befürchten einen Einstieg in den Ausstieg – und am Ende des Ganztages eine steil ansteigende Gebührenkurve bei den verlängerten Öffnungszeiten.
Was die Stadt Esslingen bestreitet: Es gebe weder Pläne noch Beschlüsse, den Ganztag abzuschaffen, teilt Bernd Berroth, Leiter des Amts für Bildung, Erziehung und Betreuung, auf Anfrage mit. Im Mai sei jedoch vom Gemeinderat eine Reduzierung der Öffnungszeiten von wöchentlich 50 auf maximal 45 Stunden beschlossen worden – und ein „vorrangiger Ausbau“ der Plätze in verlängerten Öffnungszeiten. Damit orientiere man sich am „konkreten Bedarf der Eltern“. Bei der Frage nach Nachfrage und Steuerung dreht Berroth daher den Argumentationsspieß um: Die Stadt nehme „Rückmeldungen von Eltern sehr ernst, die sich gezwungen sahen, Ganztag zu buchen, jedoch mit verlängerten Öffnungszeiten ausreichend versorgt wären“. Eine sprunghafte Gebührenerhöhung schließt der Amtsleiter aus, die Stadt halte sich bei den jährlichen „Anpassungen“ an Empfehlungen des Landes.
Im Offenen Brief der Elternbeiräte ist die Tonlage eine andere: verlängerte Öffnungszeiten „auch in den wenigen verbleibenden Kitas mit Ganztagsbetreuung anzubieten und stark zu bevorteilen“, sorge „in der Elternschaft für erhebliche Verunsicherung“. Kritisiert wird in dem Brief auch das Esslinger Kita-Gebührenmodell, das nur beim Ganztag eine Staffelung nach Einkommen der Eltern kennt. Dies stehe im Widerspruch zur ursprünglichen Begründung der Gebührenhöhe mit leeren städtischen Kassen. Was den Elternbeiräten ohnehin nicht plausibel erscheint angesichts von „Aussagen, dass es der Stadt wirtschaftlich gut gehe“.

„Für viele Familien dringend notwendig“
Die Ganztagsbetreuung sei „für viele Familien weiter dringend notwendig“, betont der Offene Brief. Er warnt vor einer „Spaltung zwischen Eltern, die ihr Kind aufgrund beruflicher oder privater Rahmenbedingungen mehr im häuslichen Umfeld betreuen können, und jenen, die auf die Ganztagsbetreuung angewiesen sind und somit mit massiven Kosten ,bestraft’ werden.“ Ein Fazit, das die Eltern in dem Protestbrief ziehen, lautet, man habe das Gefühl, von der Stadt „gegeneinander ausgespielt zu werden“. Das gilt dem Schreiben zufolge auch für die Eltern, die noch keine Kinder in der Kita haben, aber gern welche dort hätten: Die „Entlastung der überfüllten Wartelisten“ dürfe nicht „auf Kosten der ohnehin stark belasteten Elternschaft“ geschehen. Dadurch würde das Problem nur verschoben. Stattdessen müsse das Bemühen um pädagogisches Fachpersonal „intensiviert“ werden, um wieder eine Öffnungszeit von 50 Stunden in der Woche zu erreichen.
Laut Berroth stehen derzeit 273 unter dreijährige und 159 über dreijährige Kinder auf der Warteliste. Die Zahlen würden sich mit der Eröffnung vorgesehener neuer Gruppen auf 233 beziehungsweise 74 Kinder reduzieren. Im Hintergrund steht eine klare Prioritätensetzung der Stadt: „Vorrangig werden alle notwendigen Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass Kinder ab drei Jahren einen Platz erhalten.“
Die damit zusammenhängende Verkürzung der Betreuungszeiten ordnet der Offene Brief in gesellschaftliche Abwärtsspiralen ein: Die „erzwungene Reduktion der Arbeitszeit“ verstärke einerseits den Fachkräftemangel. Andererseits führe sie „zu einem Rückschritt in klassische Familienmodelle, bei denen der Elternteil mit dem geringeren Einkommen – meist die Frau – von der Erwerbstätigkeit in die unbezahlte Care-Arbeit gedrängt wird“.
Von der Stadt fordern die Elternbeiräte, den mittels Gebührenpolitik ausgeübten Druck auf Eltern in Richtung verlängerte Öffnungszeiten „sofort zu beenden“ – und ausnahmslos alle Kita-Gebühren zu senken. Außerdem wird eine zeitnahe Evaluation des aktuellen Gebührensystems sowie eine „faire und nachvollziehbare Proportion“ der Gebühren für Ganztag und verlängerte Öffnungszeiten verlangt.
Vorerst aber gilt in den Esslinger Kitas das vom Gemeinderat beschlossene Maßnahmenpaket. Es sei „im Vorfeld mit den freien Trägern abgesprochen“ worden, sagt Berroth, und werde von ihnen „mitgetragen und umgesetzt“, einschließlich Reduzierung der wöchentlichen Öffnungszeit auf 45 Stunden.

Berechnung mit vielen Faktoren
Entgeltsystem:
 Die Gebühren in den Esslinger Kitas richten sich nach den wöchentlichen Betreuungszeiten, der Zahl der im Haushalt lebenden Kinder und dem Alter des Kita-Kinds: Wie überall kostet es für betreuungsintensivere unter Dreijährige mehr als für die über Dreijährigen. Als Berechnungsgröße hinzu kommt ausschließlich bei der Ganztagsbetreuung das jährliche Bruttoeinkommen der Eltern. Das Verfahren sorgt für eine Spanne beim Ganztag von monatlich maximal 954 Euro bis minimal 33 Euro (bei fünf Tagen in der Woche), bei den verlängerten Öffnungszeiten (sieben Stunden pro Tag) von 270 bis 30 Euro.
Landesvergleich: Wegen der unterschiedlichen Gebührenmodelle sind Kita-Gebühren schwer vergleichbar. Esslingen gilt in Baden-Württemberg als hochpreisig, Heilbronn als äußerst günstig: Dort kosten Kinder über drei Jahren gar nichts. Reutlingen kommt an Esslingen heran, Stuttgart ist deutlich günstiger. (mez)