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Kicken mit Römerschädeln

Auf dem Areal der ehemaligen Lindenturnhalle in Köngen läuft eine archäologische Voruntersuchung

Praktisch immer, wenn in Köngen irgendwo gebaut wird, sind zunächst die Archäologen am Zug. Die Vergangenheit der Kommune reicht bis in die Jungsteinzeit – die begann etwa 10 000 vor Christus und wird als die Epoche definiert, in der sich der Übergang von Jägern und Sammlern zu Hirten und Bauern vollzogen hat. Bekannt ist Köngen indes hauptsächlich aufgrund seiner römischen Vergangenheit – schon die Besatzer aus dem Süden schätzten die exponierte Lage über dem Neckartal und bauten um das Jahr 90 nach Christus ein Kastell.
Seit Mitte Juli steht das Areal der ehemaligen Lindenturnhalle am Ortseingang in Richtung Denkendorf im Fokus der Archäologen, denn dort soll ein Gebäude für Betreutes Wohnen entstehen. Die Grabung ziehe zahlreiche Neugierige an, sagt der Grabungsleiter Michael Wagschal von Archäo BW – das private Unternehmen gräbt im Auftrag des Bauherrn und des Landesamts für Denkmalpflege. Vor allem die betagteren Köngener haben dabei viele Geschichten parat. „Einige von den älteren Herrschaften können sich noch gut daran erinnern, dass in den 1950er-Jahren, als der Festplatz neu gestaltet wurde, zahlreiche Skelette gefunden wurden – sie erzählen, dass die Dorfjugend damals mit den alten Schädeln gekickt hätte“, sagt Wagschal. Jörg Bofinger, zuständiger Referatsleiter im Landesamt für Denkmalpflege und einer von den beiden obersten Archäologen des Landes, muss bei dieser Geschichte trocken schlucken. Es wird wohl ein Geheimnis bleiben, was damals alles verloren ging. Denn die heutige Adolf-Ehmann-Straße entspricht dem Verlauf der einstigen Römerstraße nach Cannstatt. „Und die Römer haben ihre Grabstätten gerne entlang von Straßen errichtet“, erklärt Bofinger. Berühmtestes Beispiel dafür ist die Via Appia bei Rom, die in der Antike von Grabmälern, Gutshöfen und Thermen gesäumt war.
Insofern war sich Bofinger eigentlich sicher, dass auch auf dem Areal der 2022 abgerissenen Lindenturnhalle, das direkt an den asphaltierten Festplatz angrenzt, römische Befunde zu erwarten sind. Mitnichten. Allerdings traten nach gut zwei Wochen aus dem etwa 50 mal 60 Meter großen Untersuchungsgebiet Spuren zweier sogenannter Schlitzgruben zutage, die die Archäologen auf das Jahr 6000 vor Christus datieren. Solche Schlitzgruben werden oft im Umfeld von jungsteinzeitlichen Siedlungen gefunden, in ihnen wurden wohl Tierfelle in diversen Flüssigkeiten wie etwa Urin gegerbt. Passen würde das – Bofinger begründet das mit Hinweisen einer jungsteinzeitlichen Behausung in der Oberen Neuen Straße nur einige hundert Meter entfernt. Der Grund für die Distanz ist einfach: Im Umfeld einer Gerberei stinkt es gewaltig.
Für den Laien spannender sind allerdings die neuzeitlichen Befunde: So wurde neben zwei Pfennigmünzen aus den Jahren 1899 und 1894 auch ein Limonadendeckel aus Porzellan gefunden. Beschriftet mit „R. Weis Köngen“: Das R steht für Richard, die Familie Weis ist seit über 100 Jahren in Köngen ansässig. Sie betreibt bis heute einen Getränkehandel, der sich direkt gegenüber des Lindenturnhallenareals befindet. „Mein Großvater hat auch Limonaden in den Geschmacksrichtungen Zitrone, Orange und Waldmeister abgefüllt und verkauft“, sagt Getränkehändler Gerhard Weis. Er datiert den von den Archäologen gefundenen Limodeckel auf die Zwischenkriegszeit. Vielleicht hat sich also einer der Arbeiter beim Bau der Lindenturnhalle, die 1928 eingeweiht wurde, mit einem einheimischen Getränk von gegenüber erfrischt. Der Limodeckel aber wird ins Zentrale Fundarchiv des Landes in Rastatt wandern.
„Die Lindenturnhalle war unterkellert“, erklärt Bofinger, auch deshalb sei nicht viel gefunden worden – die Eingriffe in den Boden in der Vergangenheit waren zu stark. Der Archäologe rechnet allerdings damit, dass die Befunddichte der beiden noch ausstehenden Areale, also der Festplatz und der Ortseingang in Richtung Denkendorf, um einiges höher sein wird. „Da wird sicherlich das eine oder andere Grab im Boden sein“, vermutet Bofinger.

kd / Foto: Kerstin Dannath

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