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Großer Bahnhof fürs Denkmal

Der Plochinger Bahnhof war schon bei seiner Erbauung ein prächtiges Gebäude

Wer im Wartesaal des Plochinger Bahnhofes den Blick nach oben hebt, erlebt eine Überraschung. Dunkle Holz­vertäfelungen, mit goldenen Jugendstil-Ornamenten bemalt, schauen aus fünf Metern Höhe herunter und scheinen mitzuteilen: Das ist kein gewöhnlicher Bahnhof! Zu Recht: Plochingen ist nicht nur heute der wichtigste Bahnknotenpunkt im Kreis Esslingen, es hatte schon Ende des 19. Jahrhunderts einen Umsteigebahnhof, in dem täglich mehr als 100 Züge verkehrten. Damit dieser sich angesichts der fortschreitenden Industrialisierung vergrößern konnte, wurde er vom ursprünglichen Standort – ungefähr dort, wo heute die Esslinger in die Neckarstraße einmündet – weiter an den Stadtrand verlegt und mit großzügigem Empfangsgebäude geplant. Dessen imposanter nördlicher Kopfbau erinnere „eher an ein württembergisches Rathaus oder einen herrschaftlichen Bau der frühen Neuzeit als an ein Bahnhofsgebäude“, schreibt Karsten Preßler vom Landesdenkmalamt, der dem bis 2021 sanierten Bahnhof einen Artikel in der Zeitschrift „Denkmalpflege in Baden-Württemberg“ gewidmet hat.
Mit seinen fast 100 Metern Länge ist das Plochinger Bahnhofsgebäude, zusammen mit denen in Bad Cannstatt und Stuttgart, eines der größten in der Region. Das sagt Nikolaus Hebding, regionaler Bahnhofsmanager der Deutschen Bahn und für 93 Bahnhöfe zuständig. Die gilt es zu sanieren, modernisieren oder in Schuss zu halten – eine Aufgabe, die so vielfältig ist wie die Stile und die Funktion der Stationen. In Plochingen war das Kunststück, „moderne Technik und Brandschutz mit dem Denkmalschutz zu kombinieren“. Darauf ist Hebding stolz: einerseits ein modernes, funktionales Gebäude mit WLAN, Zeitschriften- und Buchhandlung, Bäckereicafé, Gaststätte, Imbiss und neuerdings einem kleinen Supermarkt. Nicht zu vergessen der Fotofix-Automat, der auch heute noch eine Attraktion ist. Auf der anderen Seite viele Spuren der alten Pracht, wieder in Szene gesetzt. Zu verdanken ist die hochwertige Sanierung der Coronapandemie: Dank des „Sofortprogramms für attraktive Bahnhöfe“ konnte das Vorhaben angepackt werden.
Das Erscheinungsbild dieses Bahnhofs wurde entscheidend von Theodor Fischer geprägt: Der Architekt und Stadtplaner gilt als geistiger Vater der Stuttgarter Schule, die sich von Historismus und Jugendstil wegbewegte und verstärkt Elemente der regionalen Bautradition einbrachte. Dieser „Heimatschutzstil“ schlug sich in der Gestaltung des Bahnhofsgebäudes nieder. Auch Details wie Sprossenfenster, Klappläden und Natursteingliederung der Fassade stehen in der Handwerkstradition. Die Fassade rückt dank der jetzt helleren, der ursprünglichen nachempfundenen Farbe, wieder in den Blick. Die Sandsteine wurden gereinigt und restauriert, die Klappläden ausgetauscht gegen authentischere, die Dächer neu gedeckt.
Bei den Sprossenfenstern wurde getrickst, um die Optik mit den Brandschutzvorgaben zu versöhnen. Im Gebäudeinneren ist der lange Gang des bahnhofstypischen Pavillonsystems wieder komplett geöffnet. „Da haben wir die Grundstruktur wieder hergestellt“, sagt Nikolaus Hebding über die „Wandelhalle“. Dass Sitzplätze zu finden sind, ist wie die moderne Beleuchtung, ein Kompromiss.
Auch die Überdachungen der Bahnsteige mit ihren genieteten Stahlsäulen und -trägern sind denkmalgeschützt, ebenso die gewölbte Unterführung – eine absolute Seltenheit. Wenn demnächst die Außenanlagen des Bahnhofs barrierefrei umgebaut und modernisiert werden, gilt es wieder, den Spagat zwischen Historischem und aktuellen Anforderungen zu meistern.

aia / Foto: Karin Ait Atmane

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