Esslingen

Erinnerung soll niemals verblassen

Der Esslinger Verein Denk-Zeichen hat bisher 66 Stolpersteine verlegt, die an das Schicksal von NS-Opfern erinnern. Dieses Gedenken will gepflegt werden.

In Esslingen erinnern 66 Stolpersteine an das unsägliche Leid, die Verfolgung und Ermordung zahlreicher Frauen und Männer, die während der NS-Zeit zu Opfern einer unmenschlichen Ideologie wurden. Jede dieser knapp zehn mal zehn Zentimeter großen Messingtafeln, die in Wege und Plätze eingelassen werden, steht für ein Schicksal. Und jede Lebensgeschichte, die hinter einem Namen steht, kann helfen, dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte greifbar zu machen. Der Künstler Gunter Demnig hat seit Anfang der 90er-Jahre mehr als 100 000 Stolpersteine geschaffen. In Esslingen steht der Verein Denk-Zeichen hinter diesem Projekt. Seine Mitglieder sorgen dafür, dass jedes Jahr weitere Orte des Gedenkens hinzukommen. Dem Verein ist es ein Anliegen, dass die Erinnerung nie verblasst.
Gerhard Voss, Klaus Zimmerer, Cedric Müllner und viele andere engagieren sich für dieses Projekt. Es ist ein weiter Weg, bis eine der quadratischen Messingtafeln mit ihren abgerundeten Ecken und Kanten vor einem Haus verlegt werden kann, in dem einst ein späteres NS-Opfer gewohnt hat. Namen müssen ermittelt, Lebensgeschichten akribisch recherchiert, Angehörige ausfindig gemacht werden. Erst dann können der Name, die Geburts- und Sterbedaten und der Ort, an dem das Leben dieser Menschen beendet wurde, in Gunter Demnigs Werkstatt mit Hilfe von Schlagbuchstaben verewigt werden.
66 Stolpersteine hat der Verein Denk-Zeichen in den vergangenen Jahren auf diese Weise in Esslingen verlegt, und jedes Jahr kommen weitere hinzu. Mal ist es eine Handvoll, mal ist es ein ganzes Dutzend auf einmal. So soll es auch in den nächsten Jahren weitergehen. Klaus Zimmerer betont: „Aber unsere Aufgabe ist damit noch lange nicht erfüllt. Mindestens ebenso wichtig ist es, dafür zu sorgen, dass das Gedenken an die NS-Opfer nicht verblasst.“ Zimmerer meint das durchaus auch wörtlich: „Anfangs glänzen die Stolpersteine, doch mit der Zeit wird dieser Glanz in Wind und Wetter stumpf. Dann müssen wir ihn wieder aufpolieren.“ Das ist für Gerhard Voss auch symbolisch zu verstehen: „Wenn man die Erinnerung nicht pflegt, verblasst sie früher oder später. Gerade wenn es um die Zeit des Nationalsozialismus geht, ist es wichtig, das Bewusstsein für die damaligen Verbrechen aufrechtzuerhalten, damit so etwas nie wieder geschehen kann.“

Geschichte anschaulich vermitteln
In Esslingen sehen das viele genauso. „Wir sind sehr froh, dass nicht nur unsere Mitglieder die verlegten Stolpersteine reinigen und pflegen“, sagt Gerhard Voss. „Es gibt auch eine ganze Reihe von Organisationen, die uns dabei unterstützen. Auch manche Paten wollen Stolpersteine nicht nur stiften, sondern sich später um deren Pflege kümmern.“ Dank einer Spende hat Denk-Zeichen nun vier Akkuschrauber zur Verfügung, die man sich beim Verein leihen kann, wenn man Stolpersteinen zu altem Glanz verhelfen will. „Wir denken dabei gerade an Schulklassen“, sagt Klaus Zimmerer, der als Lehrer an der Johannes-Landenberger-Schule in Esslingen unterrichtet. „Die Stolpersteine sind eine sehr gute Möglichkeit, Geschichte anschaulich zu vermitteln.“ Zimmerer baut solche Projekte regelmäßig in seinen Unterricht ein. Oft geht er dann mit seinen Klassen auch zum Theodor-Rothschild-Haus, wo ein Stolperstein an den Namensgeber des einstigen jüdischen Waisenhauses erinnert.
Neuerdings können Pädagogen eine weitere Möglichkeit nutzen, wenn sie an das Schicksal von Menschen erinnern wollen, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden: Im Internet gibt es einen sogenannten Stolpersteine-Guide, in dem Initiativen ihre Standorte vermerken können. Zu jedem Namen, der auf einer der Messingtafeln festgehalten ist, gibt es biografische Informationen und – soweit vorhanden – sogar Bildmaterial.
So wie im Falle der Familie Katz, die einst in der Mittleren Beutau 13 gelebt hatte, später nach Ludwigsburg umzog und schließlich im Oktober 1938 nach Polen ausgewiesen wurde. Dort verlieren sich ihre Spuren. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Hermann, Sarah und Rosa Hilde Katz von den Nazis ermordet wurden. Doch die Erinnerung an sie lässt sich nicht auslöschen – drei Stolpersteinen in der Esslinger Altstadt sei Dank.

Wissenswertes zu den Stolpersteinen
Projekt: 
Der Künstler Gunter Demnig möchte mit seinem internationalen Projekt an die Opfer der NS-Zeit erinnern: Juden, politisch Verfolgte, Zwangsarbeiter, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Sinti und Roma, aber auch Menschen, die in dem menschenverachtenden Nazi-Jargon als „lebensunwertes Leben“ abgestempelt und ermordet wurden. An deren letzten selbst gewählten Wohnort lässt Demnig kleine Gedenktafeln aus Messing in den Gehweg ein. 100 000 dieser Stolpersteine liegen bereits in 1800 Kommunen in 30 europäischen Ländern. Selbst in Argentinien gibt es eine Stolperschwelle.
Konzept: Die Schicksale der gewürdigten Opfer der Nazi-Zeit werden zunächst intensiv recherchiert. Dazu gehört auch die Suche nach Angehörigen, mit denen die Verlegung eines Stolpersteins nach Möglichkeit abgestimmt werden soll. In die Erarbeitung der Stolperstein-Texte, die Verlegung und Pflege sollen Schulen einbezogen werden. Auch Paten sind willkommen. (adi)

Übersicht unter https:// stolpersteine-guide.de/

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