Esslingen

Vorreiter mit klimaneutralen O-Bussen

Als erste deutsche Kommune wird Esslingen seinen Linienverkehr bald komplett elektrisch betreiben, mit dem Ausbau des Oberleitungsnetzes wird begonnen. Die Flotte soll bis zum Jahr 2025 um 46 Busse aufgestockt werden.

Viele Jahre wurde Esslingen für seine Oberleitungsbusse belächelt. Sie wirken wie Überbleibsel aus einer anderen Zeit und waren einst eher als Notlösung gedacht. Weil es in den 1940er-Jahren zu wenig Stahl für Schienen gab, um Straßenbahnnetze auszubauen, sei die Idee aufgekommen, stattdessen Busse an Oberleitungen einzusetzen, wie der Erste Bürgermeister Ingo Rust mit Blick auf die Historie der mit Strom betriebenen Busse erzählt. Ab 1944 fuhren die Modelle auch durch Esslingen.
Genau diese vermeintliche Retro-Technologie macht Esslingen nun zum Vorreiter. Als erste Stadt in ganz Deutschland wird hier der Linienverkehr in naher Zukunft zu 100 Prozent klimaneutral unterwegs sein. Bereits im Jahr 2020 hatte der Gemeinderat den Städtischen Verkehrsbetrieb (SVE) damit beauftragt. Derzeit ist das Oberleitungsnetz in Esslingen 29 Kilometer lang. Nur weitere fünf Kilometer müssen dazukommen, dann kann das gesamte Omnibusliniennetz mit elektrischem Antrieb betrieben werden. Voraussichtlich 2025 wird es so weit sein.
Mit einem symbolischen Spatenstich in der Pliensauvorstadt ist vor Kurzem der Startschuss für den Leitungsausbau erfolgt. „Dies ist ein äußerst wichtiges Signal und ein großer Schritt zur Stärkung der klimafreundlichen Mobilität“, betonte OB Matthias Klopfer. „So können wir unsere CO2-Emissionen konsequent und schnell senken, um in Esslingen bis zum Jahr 2040 Klimaneutralität zu erreichen.“ Das Netz wird schrittweise ausgebaut. Den Auftakt macht ein Abschnitt in der Pliensauvorstadt, alle 30 Meter werden insgesamt 65 Masten aufgestellt. Danach folgt der Zollberg, ab Mitte 2024 ist der Esslinger Norden an der Reihe, den Abschluss macht Mitte 2025 der Altstadtring.

Oberleitung und Batterie kombiniert
„Mit relativ wenig Ausbau erreichen wir sehr viel Effekt“, stellte Rust fest. Möglich ist das durch In-Motion-Charging, bei der Oberleitung und Batterie kombiniert werden. Einen Teil des Stroms, der verbunden über zwei Stangen aus der Oberleitung gezapft wird, nutzt der Bus zur Fortbewegung, einen Teil aber auch, um seine Batterie vollzuladen. Auf die kann er zurückgreifen, wenn es keine Oberleitung gibt. „Das spart Zeit, und man braucht weniger Busse“, sagt Andreas Clemens vom SVE. Zusätzlich werden die beiden Betriebshöfe mit Ladeeinrichtungen ausgestattet. So ist über Nacht ein „Balancing“ möglich, das die Lebensdauer der Batterien erhöht. Gefahren wird mit grünem Strom, der von der Tochtergesellschaft „grünES“ der Stadtwerke Esslingen kommt. Das Projekt wird im Rahmen der Förderrichtlinie für alternative Antriebe im Personenverkehr mit 27,4 Millionen Euro durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr gefördert. Damit gehört Esslingen zu einer der ersten zehn ausgewählten Kommunen und Verkehrsbetriebe deutschlandweit, die diese Fördermittel erhalten, und darf sich einreihen neben Großstädte wie Berlin, München, Hamburg und Köln.
In die neue Infrastruktur werden rund 14 Millionen Euro investiert (12,6 Millionen davon über die Förderung finanziert). Zudem werden bis 2025 zu den bisherigen zehn Bussen weitere 46 Batterie-Oberleitungsbusse (34 Gelenk- und zwölf Standardbusse) in Betrieb gehen. Die Bestellung an den belgischen Hersteller van Hool hat ein Volumen von rund 50 Millionen Euro (davon 14,8 Millionen gefördert). Die ersten Fahrzeuge werden aber wohl nicht vor 2024 in Esslingen eintreffen. Nach und nach werden dann die Dieselbusse ersetzt. (pep)

Wann werden die neuen Oberleitungen wo gebaut?
Vier Abschnitte: In der Pliensauvorstadt werden bis Ende 2024 neue Oberleitungen zwischen Stuttgarter Straße, Eberhard-Bauer-Straße und Weilstraße stadtauswärts gebaut. Danach wird auf dem Zollberg stadteinwärts ab Haltestelle Nellinger Linde über Zollbergstraße bis Jusiweg gearbeitet. Ab Mitte 2024 ist der Esslinger Norden an der Reihe (vom Neckar Forum über die Mülberger-, Wieland-, Rotenackerstraße bis zur Haltestelle Eugen-Bolz-Straße. Den Abschluss macht der Altstadtring, wo von Herbst 2024 bis Mitte 2025 von der Maille-Kreuzung über Kiesstraße, Grabbrunnenstraße, Ebershaldenstraße, Augustinerstraße, Berliner Straße bis zum Schelztor eine Oberleitung in beide Fahrtrichtungen gebaut wird.
Lange Tradition: Seit 1944 in Esslingen der erste O-Bus in Betrieb ging, wurde er laut SVE immer weiterentwickelt, über den Duo-Bus, O-Bus mit Dieselaggregat bis hin zum Batterie-Oberleitungsbus, der erstmals 2016 in Esslingen zum Einsatz kam. Bundesweit sind O-Busse nur noch in Solingen und Eberswalde im Einsatz. Marburg möchte ein Netz aufbauen. (pep)

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