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Sammler warnen vor Systemkollaps

Eine neue Richtlinie der Europäischen Union schreibt die Getrenntsammlung von Alttextilien vor. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass von nun an alle aussortierten Kleidungsstücke in den Spendencontainer müssen – oder sollen.

Was die Gremien der Europäischen Union beschließen, hat konkrete Auswirkungen im Regionalen. Von Brüssel bis in den Kreis Esslingen ist allerdings ein langer Kommunikationsweg, auf dem die ursprüngliche Absicht manchmal verschwimmt. Diese Gefahr besteht auch bei einer EU-Richtlinie, die seit dem 1. Januar in Deutschland gilt. Sie sieht eine Getrenntsammlungspflicht für Alttextilien vor. Ist es nun verboten, gebrauchte Kleidungsstücke in den Restmüll zu schmeißen?
Nein, stellt Michaela Schleicher klar. Sie ist bei der Aktion Hoffnung der Diözese Rottenburg-Stuttgart für den Kreis Esslingen zuständig. Der Verein sammelt in 1400 Containern Altkleider. 14 davon stehen im Esslinger Stadtgebiet. Schleicher sagt: „Verschmutzte, zerschlissene und nasse Textilien dürfen und sollen weiterhin in den Restmüll.“
Ziel der EU-Vorschrift sei es, wiederverwendbare Textilien von anderen Abfällen zu trennen, erklärt Thomas Ahlmann von Fairverwertung, einem Dachverband gemeinnütziger Altkleidersammler. Das Anliegen bezeichnet er als „richtig und wichtig“. Wer die Richtlinie allerdings als kategorisches Restmüllverbot auffasse, habe sie „grundlegend missverstanden“. Ahlmann fügt hinzu: „In Deutschland haben wir mit den Containern schon ein System zur Getrenntsammlung, das funktioniert.“ Die neue Regelung richte sich vielmehr vor allem an osteuropäische EU-Mitgliedstaaten, in denen es so etwas noch nicht gebe.
Hierzulande nehmen Organisationen wie das Deutsche Rote Kreuz, die Malteser oder eben die Aktion Hoffnung jährlich rund eine Million Tonnen an Kleiderspenden entgegen. Ein Teil davon wird für karitative Zwecke verwendet. Allerdings mache das nur einen geringen Prozentsatz aus, sagt Ahlmann. Denn: „Eine Million Tonnen vor Ort zu verteilen, wäre unrealistisch“. Deswegen verkaufen die Einrichtungen die überwiegende Mehrheit der Textilien an Sortierbetriebe, die jedes Stück einzeln prüfen und je nach Eignung auf den Secondhand-Markt bringen. „Das läuft bei uns aber nicht wie bei einer Firma“, sagt Michaela Schleicher von der Aktion Hoffnung. „Wir erwirtschaften mit dem Verkauf Gelder für soziale Projekte.“

System stößt an seine Grenzen
Dieses System hat sich bewährt, scheint allerdings zunehmend an seine Grenzen zu geraten. Ahlmann zufolge driften Angebot und Nachfrage immer weiter auseinander: „Die Altkleidermengen sind unheimlich gestiegen.“ Es werde deutlich mehr gekauft und dementsprechend mehr aussortiert. Angesichts des Trends zur Fast Fashion komme erschwerend hinzu, dass viele Stücke eine geringere Qualität aufwiesen. Dementsprechend seien sie nicht wiederverwendbar. Ahlmann: „Gleichzeitig ist die Nachfrage nach Second Hand und damit der Verkaufspreis deutlich eingebrochen.“
Eine weitere mögliche Verwendung für die gesammelten Textilien ist es, sie zu recyceln, etwa zu Putzlappen oder Dämmstoffen. Allerdings sei auch hier der Markt längst gesättigt, sagt Ahlmann.
Und theoretisch wisse man zwar, wie sich aus den Fasern der alten Kleidungsstücke neue herstellen lassen. Das werde allerdings bislang äußert selten umgesetzt. Es fehle an den notwendigen Fabriken und Verfahren. „Außerdem müssten Hersteller Textilien direkt so designen, dass sie sich fürs Recycling eignen“, fügt Ahlmann hinzu. Darüber hinaus benötige es eine politisch generierte Nachfrage, etwa durch die Vorgabe, dass neue Textilien zehn Prozent wiederverwertete Fasern enthalten müssen.
Deshalb ist bei den Sammlern die Angst vor Missverständnissen im Zusammenhang mit der EU-Richtlinie groß. „Das bislang funktionierende System würde kollabieren, wenn es verstärkt als Abfallentsorgung missbraucht wird“, teilt Fairwertung mit. „Eine Kleiderspende ist nur dann sinnvoll, wenn man die Textilien auch einem Freund oder einer Freundin weitergeben würde.“
Und wenn die karitativen Einrichtungen im Raum Esslingen nicht mehr in der Lage sein sollten, mit den wachsenden Textilbergen umzugehen? Dann werde der Landkreis ein eigenes Konzept für Sammlung und Verwertung der Altkleider anbieten, sagt Michael Potthast, der Geschäftsführer des Abfallwirtschaftsbetriebs im Kreis. Momentan gebe es dazu jedoch keinen Anlass.

Die Altkleidersammlung in Zahlen
Menge:
Nach Angaben des Sammler-Dachverbandes Fairwertung werden in Deutschland jährlich rund eine Million Tonnen an aussortierten Textilien in Containern oder bei Straßensammlungen abgegeben. Umgerechnet auf die Zahl der Bevölkerung entspräche das einem Wert von gut elf Kilogramm pro Kopf.
System: Durchschnittlich eigne sich nur noch etwas mehr als die Hälfte der abgegebenen Altkleider für den Secondhand-Gebrauch, teilt Fairwertung auf seiner Webseite mit. Ein kleiner Teil des Restes lasse sich zu Putzlappen oder Rohstoffen recyceln. Alles, was dann noch übrig bleibe, müsse als Müll entsorgt werden.
Export: Im Jahr 2023 hat Deutschland dem Statistischen Bundesamt zufolge 447 400 Tonnen aussortierte Textilien ins Ausland exportiert. Zwei Jahre vorher lag der Wert mit 518 130 Tonnen noch höher. Damals exportierten weltweit nur die USA mehr Altkleider. Neuere Zahlen zum globalen Vergleich liegen nicht vor. (vas)

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