Nürtingen

Oberboihingen: Wie aus dem Leichenhäusle eine Bücherei wurde

Bücher nicht wegzuschmeißen, sondern sie an andere Menschen weiterzugeben, das ist der Grundgedanke der Bücherecken, die gerade überall aus dem Boden sprießen. Warum nicht auch in Oberboihingen?, dachte sich Roland Schweizer.

Ein altes Tellerbord, das einmal als Aufsatz zu einem Büfett gehörte, war das erste Regal in der kleinen Bücherei in Oberboihingen. Das Regal hat Roland Schweizer gestiftet. Er war es auch, der die Idee hatte, in Oberboihingen eine Bücherei einzurichten. „Schon vor Jahren habe ich den Vorschlag gemacht, doch in der Gemeindeverwaltung fand ich zunächst kein Gehör. Bürgermeister Ulrich Spangenberg war aber Feuer und Flamme für diese Idee“, berichtete Schweizer. Ein Ort war auch schnell gefunden: der überdachte Vorraum des Leichenhäusles auf dem Alten Oberboihinger Friedhof. Vor einem Jahr wurde die Bücherei eröffnet.
Es folgte ein öffentlicher Aufruf, Regale zu spenden. Die Resonanz war eher mäßig. Doch davon ließ sich Roland Schweizer nicht aufhalten. Kurzerhand baute er die Regale selbst. Keine Gedanken musste er sich darüber machen, dass nicht genügend Bücher zusammenkommen. Die Auswahl hat im Laufe der Monate ordentlich zugenommen. Krimis findet man genauso wie Kinderbücher, Reiseführer, Kochbücher oder Romane.


Die kleine Bücherei funktioniert nach dem gleichen Prinzip, wie beim Bücherschrank in Wendlingen oder der Telefonzelle in Nürtingen, die heute am Obertor steht. Man kann Bücher spenden und sich auch Bücher mitnehmen. So ist ein reger Austausch an neuen Titeln gewährleistet.

Probleme mit Vandalismus hat es bisher nichts gegeben

Wie viele Bücher derzeit in den Regalen auf neue Leser warten, kann Schweizer nicht sagen. „Ich zähle nicht durch“, sagt er. Denn bringen und holen können Menschen die Bücher praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit. Manche setzen sich auch direkt auf das Bänkle, neben der Bücherei und schmökern in eines der Bücher hinein. Ein wenig unzufrieden ist Schweizer mit dem Müll, der am Leichenhäusle anzutreffen ist. Zigaretten, alubeschichtetes Papier, zusammengeknüllte Verpackungen sind nicht besonders schön und zudem Umweltverschmutzung. Indes, Probleme mit Vandalismus hat Schweizer noch nicht festgestellt. „Wenn ich auf junge Leute treffe, rate ich denen schon ab und an: Lest auch mal ein Buch“, sagt der pensionierte Lehrer, der schon seit Anfang der 1980er Jahre in Oberboihingen wohnt.
Kurios war die Begegnung mit einem jungen Mann, der mit dem Fahrrad von Sielmingen nach Oberboihingen gekommen war. Roland Schweizer traf ihn, als er von einer Veranstaltung nach Hause lief. Wie so viele nahm er die Abkürzung über den Alten Friedhof. „Da stand ein junger Mann und sortierte die Bücher in den Regalen. Nachts um elf“, sagt Schweizer und lacht herzlich. Der junge Mann erzählte, er habe sich vorgenommen, jede der öffentlich zugänglichen Büchereien zu besuchen. Normalerweise übernimmt es Roland Schweizer, nach den Büchern zu sehen. Hilfe hat er dabei von seiner Enkelin Nele. Die 18-Jährige macht nächstes Jahr Abitur, danach steht ein Freiwilliges Soziales Jahr an.

Dauerausstellung zur Ortsgeschichte im Leichenhäusle

Als der Alte Friedhof saniert und zu einer Art Park umgewandelt wurde, blieb das Schicksal des Oberboihinger Häusles länger ungeklärt. Wie soll es genutzt werden? Soll nur die Gebäudehülle saniert werden, ohne dass eine konkrete Nutzung festgelegt wird? Eine Arbeitsgruppe Alter Friedhof machte sich darüber Gedanke. Schließlich wurde entschieden, dass im Leichenhäusle eine Daueraustellung zur Geschichte Oberboihingens einziehen sollte. Mit einer Glastüre sind die Exponate vor Wind und Wetter und auch vor Vandalismus geschützt. Mit der Bücherecke kam nun im vergangenen Jahr eine weitere Nutzung dazu.

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