Neckar Schurwald

Nicht Baden-Baden – trotzdem attraktiv

Aichwald ist die älteste Gemeinde der Region – nicht was ihr Gründungsjahr anbelangt, sondern mit Blick auf das Alter der Einwohner.

Das bodenständige Aichwald und das mondäne Baden-Baden haben eine Gemeinsamkeit: In beiden Kommunen lebt eine Bevölkerung mit dem höchsten Altersdurchschnitt in Baden-Württemberg. Wobei Aichwald vor den Toren Stuttgarts die Nase noch ein bisschen weiter vorne hat: Dort beträgt das Durchschnittsalter der Einwohner 48 Jahre, und der Anteil der über 65-Jährigen ist kreisweit spitze. In Baden-Baden sind die Menschen im Schnitt 47,2 Jahre alt. Warum ist Aichwald attraktiv für Ältere – oder handelt es sich um einen statistischen Zufall?
Auf diese Frage angesprochen, berichtet Michael Neumann, der seit vielen Jahren den Aichwalder Seniorenrat leitet und sich in seinem Viertel wie in einem großen Altersheim vorkommt, wie er lakonisch anmerkt, aus seinem breiten Erfahrungsschatz. Tatsächlich schätzt auch der frühere Hauptschullehrer das Leben in der Schurwaldgemeinde. Mit seiner Frau wohnt er seit dem Einzug in den 1980er-Jahren in dem Schan­bacher Quartier rund um Hesse-, Wieland- und Fontaneweg – und ist genauso wie die Nachbarn dort immer älter geworden.
Kein schlechter Ort für den dritten Lebensabschnitt, darin sind sich Brigitte und Michael Neumann zusammen mit dem Gast und Weggefährten in der SPD-Ratsfraktion, Hans Ulrich Richter, einig. Kurze Wege ins Grüne aber auch ins Schanbacher Zentrum, das laut Brigitte Weber nicht nur mit einer „hervorragenden Bücherei“, sondern auch mit Läden und Dienstleistern punkten kann, machten die gute Wohnlage aus.
Man müsse nur zum Facharzt oder für besondere Einkäufe in die Nachbarstädte Esslingen, Weinstadt oder Stuttgart. Und auch für Berufspendler und die Schülerinnen und Schüler sei die Lage gut, zumal der S-Bahn-Anschluss in Weinstadt-Endersbach innerhalb von 15 Minuten mit Auto oder Bus erreichbar sei, sagt Hans Ulrich Richter, der im Ortsteil Aichelberg lebt.
Diese Infrastruktur sei typisch für Gemeinden und wohlhabende Städte im Umfeld von Wirtschaftszentren, heißt es auf der Website „Wegweiser Kommune“, die die Bertelsmann-Stiftung herausgibt. Kommunen im Stuttgarter Speckgürtel wie Aichwald verfügen demnach über eine gute Wohnqualität und ein familien- und kinderfreundliches Umfeld, beides seien gute Grundlagen für eine günstige demografische Entwicklung.

Vieles konzentriert sich in Schanbach
Wobei es lohnt, genauer hinzuschauen: „Wir haben eigentlich zwei Welten in Aichwald“, beschreibt Neumann die unterschiedliche Infrastruktur im Hauptort Schanbach, um den sich die Ortsteile Aichschieß, Krummhardt, Lobenrot und Aichelberg gruppieren. Verwaltungssitz, Apotheke, Vollsortimenter und Seniorenheim – das alles findet sich nur in Schanbach, während die Bewohnerinnen und Bewohner der Teilorte für viele alltägliche Besorgungen den Kernort aufsuchen müssten.
Neumann und seine Fraktion beschäftige vor allem das Thema altersgerechtes Wohnen, bekennt der Sozialdemokrat, der sich eigentlich als Gegner der Zentralisierung bezeichnet. Aber es habe eben auch Vorteile, wenn die Menschen auch noch im Alter fußläufig zum Arzt oder zum Optiker gehen könnten – und sogar mit dem Rollator.
Damit die Menschen auch im Alter in den eigenen vier Wänden leben können, brauche es neben einer gut aufgestellten Sozialstation, die ambulante Dienste leiste, auch das passende Mobilitätsangebot, das die Lücken des Nahverkehrs füllt. Diese Beobachtung deckt sich mit der Analyse der Bertelsmann-Stiftung. Dort heißt es: „Die Gewährleistung von Mobilität gehört zu den wichtigen kommunalen Aufgaben.“ Solche Orte müssten andererseits davon ausgehen, dass mit der gesellschaftlichen Alterung die Zahl der nicht motorisierten Einwohner zunimmt und unter den Jüngeren Mobilitätsformen jenseits des privaten Autos an Attraktivität gewönnen. Auch hier hat Aichwald etwas zu bieten. Vor mehr als sechs Jahren gelang es dem Unternehmer und Softwarespezialisten Albert Kamm, der 28 Jahre lang für die Freien Wähler im Aichwalder Gemeinderat saß, sein Projekt Bürgerbus auf die Straße zu bringen. Heute kurvt der Bus viermal täglich dank der rund 30 ehrenamtlichen Fahrerinnen und Fahrer durch alle Ortsteile. Doch sinkende Fahrgastzahlen und eine Halbierung der Einnahmen über Sponsoren lassen bei den Akteuren die Alarmglocken läuten.

Bürger engagieren sich vielfältig
Dabei finden die Neumanns und Hans Ulrich Richter viele lobende Worte über das ehrenamtliche Engagement der Aichwalder. Allein im örtlichen Seniorenrat, dem zweitgrößten Verein im Ort, der von der Spielgruppe über Beratungsangebote, einem Repaircafé, Radlertreff und Tanzgruppen bis zu den Vorlese-Omas im Kindergarten und einer eigenen Zeitung ein mannigfaches Angebot abdeckt, sind laut Michael Neumann mehrere Hundert Menschen aktiv. Noch besser sehe es aus beim Blick auf die vielfältige Aichwalder Vereinslandschaft samt der Feuerwehr und dem Roten Kreuz.
„Und der soziale Zusammenhalt ist relativ hoch“, sagt Michael Neumann. Neumann macht dafür das hohe Bildungsniveau der Aichwalder verantwortlich, ebenfalls eine Beobachtung, die sich mit den Ergebnissen der Bertelsmann-Stiftung für Kommunen nahe einem Wirtschaftszentrum deckt. Ein „großes Kontingent an Fachkräften, Know-how und Kompetenzen bilden ein großes zivilgesellschaftliches Potenzial für bürgerschaftliches Engagement“, heißt es in der Analyse. Und das ist in Aichwald mannigfach zu erleben, egal, ob es ums normale Vereinsleben, die Aichwalder Kunsttage, das Musikfestival Goldgelb oder das Aichwalder Sportereignis Motocross geht. (com)

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