Zu viel Versiegelung, zu wenig Grün: Die Neckarstadt ist laut einer Untersuchung der Deutschen Umwelthilfe kein ökologischer Musterschüler. Die schlechten Zensuren werden sich laut Stadtverwaltung auch nicht verbessern.
Eine rote Karte. Noch eine. Und noch eine. Jeder Fußballspieler würde schon beim ersten Mal vom Platz gestellt. Doch die Stadt Esslingen bleibt weiterhin im Spiel. Bei einem Hitze-Check der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hatte die Neckarstadt die rote Karte wegen ihres hohen Versiegelungsgrades erhalten. Mit Blick auf das Grünvolumen sah Esslingen Gelb. An diesen Werten und diesen Wertungen werde sich in absehbarer Zeit nichts ändern, nahm Oberbürgermeister Matthias Klopfer allen ökologischen Hoffnungsträumen den Wind aus den Segeln. Esslingen werde sich sogar auf weitere rote Karten einstellen müssen, erklärte das Stadtoberhaupt in der Sitzung des Klimarates im Alten Rathaus.
In dem Gremium sollte die Verwaltung über die Anzahl geplanter Neuanpflanzungen und ihre Reaktionen auf die negativen DUH-Bewertungen Rechenschaft ablegen. Katja Walther von der städtischen Stabsstelle Nachhaltigkeit und Klimaschutz verwies zunächst auf ein mathematisches Problem. Es sei schwierig, das Grünvolumen genau zu berechnen. Da Bäume und andere Vegetationen die Eigenschaft hätten, zu wachsen und sich damit ständig zu verändern, sei ein exakter Wert schwer zu ermitteln. Es sei spannend, herausfordernd und bewundernswert, dass eine „unabhängige Entität“ wie die Deutsche Umwelthilfe ein Berechnungsmittel dafür gefunden habe, so Katja Walther. Die Verwaltung arbeite daran, dieses Berechnungsinstrument für sich nutzbar zu machen: „Die Planungen laufen voll. Ich kann aber nichts versprechen. Zahlen können wir nicht liefern.“ Zu einem späteren Zeitpunkt hoffe man, Daten präsentieren zu können.
Unabhängig von städtischen Rechenproblemen führte Katja Walther als einen Hinderungsgrund bei Verbesserungen von Versiegelungsgrad und Grünvolumen den hohen Konkurrenzdruck an. Städtische Flächen seien heiß begehrt: „Viele wollen sie nutzen.“ Diese Interessen müssten wohl abgewogen werden. Es werde aber durchaus etwas getan. Als Beispiel für dieses Handeln der Stadt nannte Katja Walther etwa den Schattenweg.
Die Problematik der Ergebnisse des DUH-Hitze-Checks sieht auch OB Klopfer. Bis ins Jahr 2040 würden in Esslingen ähnliche klimatische Bedingungen herrschen wie in der Osttürkei. Der 20. Platz Esslingens im Städteranking sei „unrühmlich“. Doch: „Die rote Karte werden wir nicht verlieren.“ Denn die Entwicklung und die Anzahl der öffentlichen Grünflächen in Esslingen seien auch der historischen Entwicklung und der Topografie mit Hanglage und Begrenzung durch den Neckar geschuldet. Der Verwaltungschef verwies auch auf die hohen Kosten sowie den personellen Aufwand von Pflege und Erhalt. Das Pflanzen eines Baumes im öffentlichen Bereich würde mit 10 000 bis 15 000 Euro zu Buche schlagen. Es würde zwar Förderungen von Bund und Ländern geben, doch diese Gelder seien angesichts der hohen Ausgaben rasch aufgebraucht.
Viele Chancen sind vertan worden
In der Vergangenheit seien in Esslingen viele Chancen auf mehr Grün und weniger Versiegelung vertan und verbaut worden: „Das können wir nun nicht mehr zurückbauen“, so Klopfer. Esslingen bestehe auch nicht nur aus der Innenstadt, sondern umfasse ein Stadtgebiet von „Mettingen bis Zell“. Die Hitzebelastung würde alle Einwohner betreffen. Darum müssten Gegenmaßnahmen für die gesamte Stadtfläche gedacht werden.
Tobias Hardt, Mitglied des Klimarates und Stadtrat für die Linken, meinte, man müsse offen für neue Ideen sein: „Warum fahren noch Autos in der Altstadt?“ Die Parkplätze in der City könnten auch für andere Maßnahmen genutzt werden.
In dem Hitze-Check der DUH ist Esslingen in einem nationalen Ranking deutscher Kommunen auf dem 20. Platz gelandet. Beim Versiegelungsgrad hat die Neckarstadt eine Rote Karte erhalten, weil laut der Untersuchung mehr als 50 Prozent der Siedlungs- und Verkehrsflächen dauerhaft mit undurchlässigen Materialien bedeckt sind. Grün fehlt ebenfalls. Bei der Ermittlung des Werts für das Grünvolumen wird laut DUH das „Vorhandensein dreidimensionaler Vegetationskörper wie Bäume oder Blühstreifen auf einer Flächeneinheit“ untersucht. Esslingen erreicht hier einen Wert von 3,12 Kubikmeter Grün pro Quadratmeter Fläche. Für diese Zahl gibt es eine Gelbe Karte. Sie wird gezeigt, wenn es nur zwei bis vier Kubikmeter Grün pro Quadratmeter Fläche gibt. Mit dieser Beurteilung und einem Versiegelungsgrad von 50,81 Prozent schneidet Esslingen in der Öko-Bilanz der DUH teilweise schlechter ab als die Nachbarstadt Stuttgart. Mit einem Versiegelungsgrad von 51,78 Prozent sieht die Landeshauptstadt zwar auch rot, doch für ein Grünvolumen von 4,19 Kubikmetern pro Quadratmeter Fläche erhält sie eine grüne Karte.
Die Deutsche Umwelthilfe und ihr Hitze-Check
DUH: Die 1975 gegründete Deutsche Umwelthilfe (DUH) mit ihren etwa 165 Mitarbeitenden macht sich als gemeinnütziger, politisch unabhängiger Verein nach eigenen Angaben für Natur-, Umwelt- und Verbraucherrechte stark. Als Erfolge werden die Einführung des Dosenpfands, das Anerkennen des Klimaschutzes als ein Grundrecht oder der Kampf gegen Greenwashing-Kampagnen genannt.
Hitze-Check: Die DUH hat im Juli erstmals 190 deutsche Städte mit mehr als 50 000 Einwohnern untersucht. Die Analyse betrachtet Flächenversiegelung und Grünausstattung nach neuen Daten der Potsdamer Luftbild-Umwelt-Planung im Auftrag der DUH. Im baden-württembergischen Vergleich rangiert Esslingen auf Platz sechs – hinter Heilbronn, Ludwigsburg, Mannheim, Rastatt und Waiblingen.
Klimarat: Das Gremium soll laut der Stadt Esslingen Empfehlungen zu Beschlüssen des Gemeinderats zum Klimaschutz erarbeiten. Dem Rat gehören Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft an. Mit dabei sind auch die Hochschule, das Klimagerechtigkeitsbündnis Esslingen und die Kreishandwerkerschaft Esslingen-Nürtingen. Die erste öffentliche Sitzung war im Januar. (sw)
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