Das Kreisarchiv Esslingen startet ein Mitmachprojekt: Auf der Online-Plattform Smapshot können historische Fotos aus dem Kreisgebiet lokalisiert werden.
Rund 100 000 Fotografien vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart hat das Esslinger Kreisarchiv in seinem Bestand – überwiegend sind es Landschafts- und Luftaufnahmen. Die meisten davon sind bereits digitalisiert und sollen nach und nach der Öffentlichkeit online zur Verfügung gestellt werden. „Aber nicht einfach so“, räumt Kreisarchivar Manfred Waßner ein. Die Aufnahmen, so lautet der Anspruch, sollen neben einem genauen Datum auch exakt lokalisiert werden. Doch Angaben zur geografischen Position fehlen auf historischen Fotos – früher gab es kein GPS. Deshalb ist die kollektive Intelligenz gefragt.
Wo stand die Kamera, als das Bild entstand? Welchen Blickwinkel hat der Fotograf gewählt? Welche Orte sind von diesem Punkt aus noch zu sehen? „Das lässt sich manchmal nur schwer sagen, weil ältere Aufnahmen oft unscharf sind“, räumt der Kreisarchivar ein. Um diese Fragen beantworten zu können, braucht es laut Waßner die Orts- und Sachkenntnis aller.
„Georeferenzierung mittels Growdsourcing“ nennen die Fachleute dieses Vorgehen. Ein solches Mitmachprojekt startet das Kreisarchiv Esslingen nun in Zusammenarbeit mit der staatlichen Fachhochschule Westschweiz. Sie stellt mit der von ihr entwickelten Online-Plattform Smapshot die notwendige Technik zur Verfügung. „Wir sind die erste Institution in Deutschland, die Smapshot nutzt“, sagt Waßner stolz. Für das Projekt erhielt der Kreis Esslingen Fördermittel aus dem Digitalprogramm „Wissenswandel“ für Bibliotheken und Archive.
Die Anregung dazu hat Mitarbeiterin Vanessa Schach vor gut anderthalb Jahren von einer Tagung mitgebracht. Nun leitet sie das Projekt und erläutert: „Ziel ist es, Archivbilder zu verwenden, um einen virtuellen Globus der vergangenen Zeit nachzubilden.“ Wer sich daran beteiligen wolle, müsse aber kein IT-Fachmann sein, räumt Schach mögliche Bedenken aus: Auf Smapshot ist es spielend leicht, eine historische Aufnahme auf ein aktuelles Landschaftsmodell zu legen und sechs übereinstimmende Punkte zu identifizieren. So können die Bilder aus den vergangenen Jahrzehnten mit der heutigen Situation verglichen werden. Die Aufnahmen kann man ganz bequem von Zuhause aus betrachten und bearbeiten – sowohl mit Registrierung als auch ohne Konto anonym, erklärt Schach. Die Lokalisierungsvorschläge werden anschließend vom Kreisarchiv überprüft und dann auf der Plattform freigeschaltet.
Wer kann Angaben machen zu einem Foto von Bissingen an der Teck, das die Ortsansicht mit Dorfteich um 1969 zeigt. Oder zu einer um 1910 entstandenen Aufnahme von Neuffen, die die Schlossgasse samt Brunnen und Fasswagen zeigt, während sich unscharf im Hintergrund die Festungsruine Hohenneuffen über dem Ort erhebt? Auch aus Kirchheim, Nürtingen und Plochingen, aus Unterlenningen, Beuren und Owen, aus Wernau, Neidlingen und Holzmaden, aus Scharnhausen, Ruit und vielen anderen Orten im Kreisgebiet gibt es Motive, die zu einer Zeitreise einladen.
In einem ersten Schritt wird auf Smapshot eine kleine Auswahl von Luftbildern aus dem Kreisarchiv präsentiert, die bei den früheren Kreisbildstellen der Altkreise Esslingen und Nürtingen entstanden sind. Diese hatten damals den Auftrag, die jeweiligen Städte und Gemeinden, die Wirtschaft und die Natur regelmäßig im Bild zu dokumentieren. 191 Fotos, hauptsächlich aus den 1950er- bis 1970er-Jahren, sind es zunächst. Laut Schach sollen nach und nach weitere Bildbestände folgen, sodass bald alle Städte und Gemeinden im Kreis darunter sind. „Wir sind gespannt, wie das Projekt anläuft. Das ist doch die perfekte Beschäftigung für ruhige Feiertage.“
Jens Ingensand, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Ingenieurwissenschaften des Kantons Waadt, betont: „Es ist wichtig, dass sich genügend Freiwillige finden, die mitarbeiten.“ Den bisherigen Erfahrungen zufolge ist das Interesse an der kooperativen Plattform recht groß: Seit dem Start von Smapshot im Jahr 2017 haben die inzwischen 1136 Mitglieder schon mehr als 210 000 Bilder georeferenziert. Weitere 50 000 historische Dokumente, die insbesondere Schweizer Institutionen online gestellt haben, können noch verortet werden.
Die Technik aus Yverdon-les-Bains hat einen wissenschaftlichen Hintergrund: Mit Hilfe der exakt bestimmten Aufnahmen lassen sich Landschafts- und Siedlungsveränderungen seit Ende des 19. Jahrhunderts nachvollziehen – in der Schweiz etwa den Rückgang von Gletschereis. „Im Kreis Esslingen wird so die ungeheure Verdichtung der Besiedlung erkennbar, die seit den 1920er-Jahren stattgefunden hat“, sagt Waßner mit Blick auf den Vorher-Nachher-Vergleich der Esslinger Motive. Das Programm ermöglicht aber nicht nur den Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart, es kann auch dabei helfen, Städte für die Zukunft zu planen.
Schritt für Schritt Bilder lokalisieren
Plattform: Auf der Online-Plattform Smapshot der Fachhochschule Westschweiz (HEIG-VD) sind die historischen Fotos und Karten aus verschiedenen Sammlungen von Bibliotheken und Archiven zu sehen. Ab sofort ist dort auch die aktuelle Kampagne des Kreisarchivs Esslingen zu finden. Der Link lautet: http://smapshot.heig-vd.ch/owner/esslingen
Vorgehen: Auf der Internetseite stehen allgemeine Information zur Esslinger Kampagne – und zwei Buttons auf einer Landkarte, über die man direkt zu den Aufnahmen aus dem Kreisarchiv gelangt. Mit dem Button Entdecken (blau) kann man sich die bereits georeferenzierten Bilder anschauen. Der Button Teilnehmen (orange) ermöglicht Interessierten, die Fotos mit ein paar wenigen Klicks zu lokalisieren. Es ist auch möglich, einen Kommentar zur Aufnahme zu schreiben. Die Angaben werden nach einer Prüfung freigegeben.
Wettbewerb: Für registrierte Smapshot-Nutzer gibt es ein Ranking, dass die fleißigsten Unterstützer auflistet. Die drei Erstplatzierten haben demnach jeweils um die 600 Bilder verortet. (eh)
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