In Erinnerungen an vermeintlich gute, alte Zeiten schwelgen und ein angestaubtes „Anno dazumal“ pflegen – das wollte Hegensberg nicht. Der Esslinger Stadtteil feiert seinen 750. Geburtstag daher mit nostalgischer Moderne und spritzigen Einfällen.
Die Geburtstagstorte müsste gewaltig ausfallen. Schließlich sollten 750 Kerzen darauf Platz haben. Doch Hegensberg feiert sein Jubiläum anders – pragmatisch, zielgerichtet, konzentriert. Vom 11. 13. Juli lädt der Esslinger Stadtteil zu einer Party ein, die in das anstehende Bergfest eingebettet wird. Die Vorbereitungen dafür laufen auf Hochtouren. Ein nostalgieverliebtes „Anno dazumal“ zur Jubiläumsfeier wollten Ralf Morsch vom Förderverein „Wir vom Berg“ und seine Mitorganisatoren nicht. Vielmehr war ihnen eine vorwärtsgerichtete Erinnerungskultur wichtig.
750 sei eine zu große Zahl, um ignoriert zu werden. Eine ausführliche Chronik zur Hegensberger Geschichte wird es dennoch nicht geben, sagt Morsch. 1994 war eine ausführliche Broschüre unter hauptsächlicher Federführung des damaligen evangelischen Pfarrers Otto Wilhelm herausgegeben worden. Dessen akribische Recherchen können kaum getoppt werden. Ein Aufguss könnte nur kalter Kaffee sein. Darum werden Restbestände des Heftes mit dem Titel „Hegensberg und seine Geschichte“ während des Festes angeboten. Ganz ohne neues Jubiläumsdruckwerk wollte Hegensberg dennoch nicht dastehen. Darum wird als aktuelle Reverenz an eine alte Tradition ein Leporello herausgeben. Inhalt ist laut Ralf Morsch ein kurzer Abriss der geschichtlichen Fakten. Hauptbestandteil aber sind Äußerungen von Hegensberger Bürgerinnen und Bürgern quer durch alle Altersstufen, Generationen und Berufssparten.
Der heutige Esslinger Stadtteil trat 1275 aus dem dokumentarischen Dunkel ins Licht der Regionalgeschichte. In dieser ersten urkundlichen Erwähnung verkauft Heinrich Holzhuser, der spätere Esslinger Bürgermeister, einen Weinberg an das Kloster Kaisheim. Otto Wilhelm, der Autor der Chronik von 1994, nimmt an, dass das Gebiet um den Weinberg herum damals wohl schon besiedelt war. Heute habe der Stadtteil gut 2500 Einwohner, sagt Ralf Morsch.
Zur Jubiläumsfeier am zweiten Juli-Wochenende gibt es Besonderheiten. Die Bauzäune zur Eingrenzung des Festgeländes werden über ihren Absperrungszweck hinaus für den 750. Geburtstag genutzt und durch Banner mit historischen Aufnahmen, Urkunden, Plänen oder Landkarten verschönert. Der ursprüngliche Gedanke einer Ausstellung sei verworfen worden. Eine solche finde naturgemäß meist in einem geschlossenen Raum statt, doch angesichts des sommerlichen Festtermins habe sich das Team für eine Open-Air-Version entschieden. Das Bergfest solle ebenfalls Teil des Jubiläums werden. Einen Festumzug gibt es nicht. „Das hielten wir für nicht mehr zeitgemäß“, erklärt Ralf Morsch. Zumal solch ein Unterfangen auch mit großen Schwierigkeiten möglich gewesen wäre. Schon das Absperren einer Straße ziehe einen hohen Bürokratiewust nach sich. Es könne auch nur die vorhandene Man- und Womanpower genutzt werden, und die Engagierten im Ort seien durch das Bergfest stark eingebunden.
Enorm ist auch der Hegensberger Beitrag zur Heimatgeschichte. Die Historie ist spannend. Im Dreißigjährigen Krieg starben laut der Chronik von Otto Wilhelm zwei Drittel der Einwohner an Kriegsfolgen, Hunger und Seuchen. Ein zeitgenössischer Chronist, Pfarrer M. Paul Biberstein, beschreibt in den Annalen auch ausführlichst den Tod der zweijährigen Maria Zeininger, die von einem Wolf zerfleischt wurde. Weniger blutrünstig verlief 1844 die Loslösung von Oberesslingen, die dem Ort Selbstständigkeit und einen Bürgermeister bescherte. Hegensberg war im Gegensatz zur Reichsstadt Esslingen den württembergischen Landesherren unterstellt. Die Liebe zur Monarchie war verhalten. Ein finanzieller Obolus für ein Denkmal für König Wilhelm unterblieb 1868, für ein Geschenk zur Wiedervermählung des Prinzen Wilhelm 1886 wurden nur 13 Mark aufgebracht. Die Eigenständigkeit währte ohnehin nicht lange: 1914 ging Hegensberg an Esslingen.
Info: mehr unter https://www.wirvomberg.de/
Hegensberger Prominenz
In Hegensberg gab es einige prominente Persönlichkeiten: Philipp Abraham von Münzenmaier (1849 bis 1900) etwa, der „nur die Hegensberger Schule besucht hatte“, brachte es bis zum geadelten General, berichtet Otto Wilhelm in seiner Chronik. Münzenmaier wurde „im königlichen Hofreglement, das zehn Ränge kannte, im ersten Rang neben adligen Ministern, Kirchenpräsidenten und studierten Generälen“ aufgeführt. Oder Andreas Jacob Spieth (1856 bis 1914): Er war als Missionar in Westafrika und Togo tätig und übersetzte die Bibel in die Sprache Ewe, die in Togo und im östlichen Ghana gesprochen wird. (sw)
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