Beim Wohnprojekt für behinderte junge Menschen in Baltmannsweiler steht der Landkreis weiter ohne Partner da
Für das geplante Wohn- und Betreuungsprojekt für behinderte Kinder und Jugendliche in Baltmannsweiler ist derzeit kein Träger zu finden. Rückt die Realisierung des dringend benötigten Neubaus damit in weite Ferne?
Nach dem überraschend verkündeten Ausstieg der Diakonie Stetten haben sich die beteiligten Landkreise Esslingen und Göppingen auf die Suche nach einem neuen Partner gemacht – allerdings erfolglos, berichtete der Landrat Heinz Eininger jüngst im Jugendhilfe- und Sozialausschuss des Esslinger Kreistages. Bei 16 möglichen Einrichtungsträgern aus der Region und darüber hinaus habe man angefragt, doch alle hätten mit Verweis auf die Baukostenentwicklung und die schwierige Personalakquise ziemlich schnell abgewunken. Zuletzt war man noch mit der Stiftung Liebenau im Gespräch. Das bundesweit agierende Sozialunternehmen mit rund 7700 Mitarbeitern ist bislang noch nicht im Kreis Esslingen vertreten. Das Vorhaben, sagte Einiger damals, „würde gut in das Portfolio passen“.
Doch aus der Stiftungszentrale im Meckenbeurer Ortsteil Liebenau kam dieser Tage eine Absage: Man habe die Möglichkeiten für einen Einstieg in das Projekt geprüft, teilt ein Sprecher der kirchlichen Stiftung mit, und sei dabei „zum Ergebnis gekommen, dass uns ein kurzfristiges Engagement derzeit leider nicht möglich ist. Unsere Kapazitäten sind aktuell in bereits laufenden Projekten gebunden.“ Unter anderem baut die Stiftung derzeit in Ludwigsburg ein Wohngebäude für junge Menschen mit Behinderung.
„Wir bedauern die Absage sehr“, sagt die Sprecherin der Kreisverwaltung, Andrea Wangner. Die Alternativen seien „aufgrund der schwierigen Rahmenbedingungen deutlich begrenzt“. „Dennoch“ , so fügt sie hinzu, „verfolgen wir weiterhin die Realisierung der Einrichtungsplanung.“ Ein solches Angebot fehlt bis heute im Landkreis Esslingen.
Es sind die Sünden der Vergangenheit, die sich nun rächen. Seit 2014 plante die Diakonie Stetten – auf Bitten des Kreises – ein Wohnhaus mit 18 Plätzen für schwerst- und mehrfachbehinderte junge Menschen sowie sechs Kurzzeitbetreuungsplätzen. Die ersten beiden Anläufe gab es in Plochingen, sie scheiterten aber am Veto des Gemeinderates und der Nachbarschaft. Auf der Suche nach einem Ersatzstandort wurde die Diakonie Stetten dann in Baltmannsweiler fündig, wo sie 2018 ein Grundstück erwarb. Nachdem auch der Nachbarkreis Göppingen Interesse an einer Projektbeteiligung signalisierte, schienen die Weichen für den damals auf sechs Millionen Euro veranschlagten Neubau auf dem Schurwald gestellt.
Doch im Februar dieses Jahres zog der Bauherr die Reißleine: Angesichts enormer Kostensteigerungen und der derzeitigen Refinanzierungssystematik sehe man sich „leider gezwungen, das mit viel Aufwand und Herzblut vorangetriebene Wohnprojekt“ zu beenden, teilte der Vorstand mit. Eigenen Angaben zufolge war der Diakonie Stetten „das Restrisiko für mögliche Finanzierungslücken zu hoch“. Man sei bereit, das Grundstück in Baltmannsweiler an einen neuen Träger zu verkaufen. Auch die weit gediehenen Pläne, so hieß es damals, könnte ein Interessent übernehmen – gegen eine Kostenbeteiligung, schließlich habe die Diakonie Stetten bereits 400 000 Euro investiert.
Das Angebot trifft jedoch auf keinerlei Interesse. Landrat Eininger überrascht das nicht: „Aufgrund gestiegener Baukosten, der hohen Grundstückspreise im Ballungsraum und der höheren Fremdkapitalfinanzierungen treten selbst große Leistungserbringer, die über ein eigenes Gebäudemanagement verfügen, von Neuplanungen zurück. Kleinere Anbieter sind noch viel weniger in der Lage, in eine entsprechende Umsetzung einzusteigen. Auch eine deutlich schwierigere Personalakquise führt eher zum Rückzug aus dem Markt“, schildert er in einem Schreiben an das baden-württembergische Sozialministerium sowie an verschiedene Verbände.
Darin nimmt er Bezug auf die schwer umsetzbare Neuplanung von Einrichtungsangeboten für Menschen mit Behinderung und macht auf ein Problem aufmerksam: In der aktuellen Verwaltungsvorschrift zur Förderung von dezentralen Wohn- sowie von Betreuungs- und Werkstattangeboten sei ein Investorenmodell nicht förderfähig, kritisiert Eininger. „Die Entwicklungen zeigen jedoch, dass vermehrt Investoren aus der Wohnungswirtschaft gebraucht werden, um künftig dringend benötigte Einrichtungsplanungen überhaupt bedarfsgerecht realisieren zu können.“
Die Vorschrift des Sozialministeriums, die Ende des Jahres ausläuft, wird derzeit auf Landesebene fortgeschrieben. Aus Sicht des Esslinger Landrats sollten die neuen Förderrichtlinien dieser Entwicklung dringend Rechnung tragen und Modelle mit Investorenbeteiligung als förderfähig zulassen. „Langfristige Mietbindungen wären hierbei eine mögliche zu prüfende Option.“
eh / Foto: Roberto Bulgrin
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